Retterwurftraining – Lessons Learned

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Ich habe in diesem Beitrag schon über das Retterwurftraining berichtet, welches von den Bodenlos e.V. organisiert und durchgeführt wird. Doch ein Training, ohne auch etwas daraus zu lernen, macht nicht wirklich Sinn. Daher hier nochmal die Erkenntnisse zusammengefasst, die meine Vereinskollegen im Vereinsinternen Forum beschrieben haben, deren Texte ich zum großen Teil vom Original übernommen habe. Ergänzt habe ich die Texte mit meinen eigenen Erkenntnissen.

Update 7.6.2024: Antwort der Bergrettung Tirol hinzugefügt.

Retterwurf, Baumlandung und die Gefahr eines Hängetraumas

Ein bei den Gleitschirmfliegern leider häufiger vorkommendes Szenario, dass man nach einem Retterwurf in einem Baum aufgefangen wird. Da die Retteraufhängung hinten am Pilot angebracht ist, verbleibt der Pilot oft in der Position, wie im Foto dargestellt.

Die Folge der dargestellten Position kann ein Hängetrauma sein. Der Begriff Hängetrauma beschreibt einen lebensbedrohlichen Schockzustand, der auftreten kann, wenn man längere Zeit bewegungslos in einem Gurtsystem hängt. Die erzwungene aufrechte Körperhaltung führt dazu, dass das Blut aufgrund der Schwerkraft in herabhängende Körperteile „sackt“ (Quelle: Wikipedia). Verschärft wird die Situation durch das Einschnüren der Beine, von den Schmerzen vor allem für Männer gar nicht zu reden.

Erste Symptome des Traumas, wie Blässe, Schwitzen, Schwindel usw. können bereits nach 20 Minuten auftreten. Entweder man verliert in der weiteren Folge das Bewusstsein und riskiert dadurch sein Leben, oder man versucht, sich aus der Lage zu befreien und setzt sich damit der Gefahr eines Absturzes aus. Es gibt bekanntermaßen Fälle, in denen solche Abstürze zu schweren Verletzungen oder sogar zum Tod geführt haben.

Bandschlinge für den Stand

Es wird empfohlen, eine Bandschlinge mit Karabiner mitzunehmen, die auf das Gurtzeug und Beinlänge abgestimmt ist. Die Karabiner können in die Hauptkarabiner eingehängt werden, um sich anschließend in der Bandschlinge einen Stand zu verschaffen. Das Setup sollte unbedingt vorab getestet werden, damit sichergestellt ist, dass die Länge der Bandschlinge auf die Körperproportionen passt.

In meinem Fall ist eine Bandschlinge mit 240 cm Länge und zwei 8 kN Karabiner (die nicht zum Klettern zugelassen sind).

Ein Pilot gab den Tipp, den Beschleuniger am Karabiner festzuknoten und als zusätzlichen Stand zu verwenden. Hier gibt es jedoch Bedenken, dass dies wesentlich komplizierter ist als die Bandschlingenlösung mit einem Karabiner. Gleichzeitig dient es als Backup, falls die erste Methode aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert (zum Beispiel, wenn die Bandschlinge anderweitig zur Sicherung verwendet werden muss). Es ist jedoch wichtig, diese Methode vorher ausgiebig zu testen, da nicht jeder Beschleuniger, insbesondere bei sehr leichten Modellen, für das Gewicht eines Erwachsenen ausgelegt ist und brechen könnte. Dies wäre im Fall eines Baumlandens eine äußerst unangenehme Überraschung.

Sicherung am Baum

Piloten wird empfohlen, eine zweite Bandschlinge zur Sicherung am Baum mitzuführen, um einen potenziellen Absturz zu verhindern, falls der Rettungsvorgang fehlschlägt oder der Ast, an dem sie hängen, bricht. Es ist wichtig zu beachten, dass kurze Bandschlingen, wie sie beim Klettern verwendet werden, nicht ausreichend sind. Stattdessen sollte dieselbe Art von Bandschlinge verwendet werden, die auch für den Stand genutzt wird

Mach dich bemerkbar!

Nach einer halben Stunde in der Luft seid ihr möglicherweise heiser und euer Ruf verhallt ungehört. Darum sei keine Pfeife, sondern benutze eine, um dich bemerkbar zu machen. Das laute und durchdringende Geräusch einer Pfeife ist weitaus weiter zu hören als eure Stimme, verbraucht keine wertvolle Kraft und minimiert die Zeit, die ihr in der Luft verbringt, bis ihr sicher wieder am Boden seid.

Leinenschlösser öffnen

Wer hat nicht schon von den Horrorgeschichten gehört, dass die Rettungskräfte recht rabiat, alle Leinen kappt, um den Schirm aus dem Baum zu holen (Das ist kein Vorwurf gegenüber den Rettungskräften, die oft ehrenamtlich arbeiten). Um das zu verhindern, ist die Mitnahme eines passenden Gabelschlüssels ratsam, um gegebenenfalls selbst oder die Rettungskräfte zu bitten, die Leinenschlösser mit dem Gabelschlüssel zu öffnen. Aber natürlich geht die eigene Gesundheit vor, man sollte die Leinenschlösser nicht öffnen, wenn die Gefahr besteht von seiner derzeitigen Position herunterzufallen.

Der Gabelschlüssel habe ich mit einem Gummiseil zur Sicherung gegen herunterfallen versehen. Wer Softlinks am Schirm hat, sollte sich vorab informieren, wie diese zu öffnen sind.

Rettungsschnur – notwendig, oder nicht?

Lange Zeit hat der DHV vorgeschrieben, eine Rettungsschnur mitzunehmen, mittlerweile ist es nur noch eine Empfehlung. Eine Rettungsschnur benötigt man im Falle einer Baumlandung, um ein Seil oder andere Bergungsgegenstände zu sich hochzuziehen. Jedoch habe ich mittlerweile gehört, dass die Rettungskräfte sich darauf nicht verlassen.

Die Bergrettung Tirol hat mir auf Anfrage zum Thema folgendes geantwortet: „Wir verfügen in der Regel über Baumsteigeisen, damit können wir auch auf kahlen Bäumen hochsteigen. Insofern ist die Möglichkeit gegeben, dass wir auch ohne Rettungsleine zu Ihnen hochkommen. Aber sinnvoll ist es dennoch, da man umso schneller ist, wenn sie ein Seil hochziehen können. Insofern kann ich dem Gedanken der Empfehlung folgen. Sollte aber ein Unglück geschehen und Sie haben keine Rettungsleine dabei, verfügen wir dennoch über Mittel, um zu Ihnen hochzugelangen.“

Wo habt Ihr die Sachen verstaut?

Ihr kommt an viele der Taschen, die im Flug perfekt erreichbar sind, in der Hängesituation möglicherweise nicht mehr ran. Reißverschlüsse lassen sich nicht mehr öffnen und wenn man es doch geschafft hat was herauszuholen, fallen andere Sachen raus und liegen dann 15 Meter unter dir. Haben wir alles gesehen. Überlegt euch, wo Ihr die Sachen verstaut. Das gilt auch fürs Telefon. Einige überlegen, sich ein Cockpit oder eine Bauchtasche zuzulegen.

Ich habe mir ein Kulturbeutel besorgt, die gerade so in der Tasche des Beinsacks passt. Vorteil von dem Kulturbeutel ist, dass das ganze Zubehör einigermaßen geordnet untergebracht ist. Neben den oben beschriebenen Dinge habe ich noch ein 1. Hilfe Set im Kulturbeutel.

Wasserlandungen und Leinen, die dich fesseln

Alle, die schon mal den Retter im SIV geworfen haben, wissen, wie schnell man durch die Leinen im Wasser gefesselt ist. Bei Strömung ist das noch viel gravierender. Besorgt euch ein Leinenmesser und mach es am Brustgurt (oder ähnlich gut erreichbar) fest. Vor Jahren wurden schon mal von einem Vereinsmitglied diverse Messer getestet und die Empfehlung ist das Mystic Knife. Schneidet auch durch Tragegurte, wenn es sein muss.

Klett-Komponenten im Rettungssystem

Bei einigen Gurtzeugen haben sich die Klett-Komponenten im Rettersystem schwer öffnen lassen. Je länger Klett verschlossen ist, desto stärker wird der Zusammenhalt. Daher sollten Klett-Komponenten im Rettersystem regelmäßig geöffnet und geschlossen werden, damit sie im Falle eines Retterwurfs auch wie vorgesehen aufgehen.

Wo ist mein Rettergriff?

Bei einigen Teilnehmern dauerte die Retterauslösung sehr lange. Man sollte sich bewusst sein, dass Schnelligkeit, das eigene Leben retten kann, z.B. falls man in Bodennähe den Retter werfen muss oder der Schirm in Autorotation ist. Das Verzögerte auslösen des Retters lag häufig daran, dass es zu lange gedauert hat, den Rettergriff zu finden oder zu greifen. Das kann zwei Ursachen haben:

  • Griff zur falschen Stelle
  • Rettergriff (mit Handschuhen) schwierig greifbar

Der Griff zur richtigen Stelle kann bei jedem Flug trainiert werden: Vom Karabiner als Orientierungspunkt entlang nach unten Richtung Rettergriff greifen. Durch regelmäßiges Training geht dies dann ins Muskelgedächtnis über, sodass er im Fall einer Retterauslösung schneller gefunden wird.

Ist der Rettergriff schwierig greifbar, so kann man beispielsweise prüfen, ob es vom Hersteller eine aktualisierte Version gibt (war wohl bei einem Gurtzeug der Fall).

Der nutzlose Abstützreflex

Beim Durchschauen von Fotos fiel auf, dass viele Teilnehmer sich beim Griff nach der Rettung mit der Bremse in der anderen Hand versuchten abzustützen. Auch wenn die simulierte Situation, nach dem Klapper sofort zur Rettung zu greifen, nicht ganz realistisch ist, ist es die Reaktion auf das einseitige Abkippen des Gurtzeugs schon. Diese Reaktion passiert nämlich instinktiv – von klein auf lernen wir, uns beim Gleichgewichtsverlust abzustützen. Dieser Abstützreflex ist in der Luft jedoch nicht hilfreich. Er kann die Situation sogar verschlimmern und zu einer Kaskade führen (einseitiger Strömungsabriss).

In der Luft ist es wichtig, den Gleitschirm zu fliegen. Das involviert in den meisten Situationen keine Bremsinputs bis unter den Allerwertesten, insbesondere nicht länger als dies beim Abstützreflex der Fall ist – es gibt natürlich Ausnahmen wie das Abfangen eines stark schießenden Schirms. Es ist wichtig, sich auf sein Gurtzeug zu verlassen, einen möglichst kühlen Kopf zu bewahren und den Gleitschirm aktiv zu fliegen. Bei Schirmen mit einer hohen passiven Sicherheit ist in den meisten Situationen die Reaktion „Hände hoch“ besser als starkes (einseitiges) Anbremsen.

Daran arbeiten zu können, beginnt damit, sich überhaupt bewusst zu werden, wenn man dies tut. Dann kann dem Abstützreflex durch Training im Simulator wie beim Retterwurftraining als auch durch Visualisierung entgegengewirkt werden.

Gut zusammengefasst sind die oben aufgeführten Punkte in den ersten beiden der „4 Fundamentals“ von Flyeo (vom Englisch ins Deutsche übersetzt):

Vertraue deinem Gurtzeug

Vertrauen in das Gurtzeug bedeutet, das Gurtzeug so zu benutzen, wie es konzipiert wurde. Das ist die Basis für die Grundlagen, und solange man das nicht beherrscht, ist es fast unmöglich, alle anderen Fähigkeiten zu erlernen.

Stellen Sie sich einen Rallyefahrer vor, der auf einem großen aufblasbaren Gymnastikball statt auf einem Schalensitz sitzt. Wenn er um die Kurven rast, wird er das Gleichgewicht verlieren und versuchen, sich an etwas festzuhalten, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Er wird viel Rumpfkraft einsetzen, um das Gleichgewicht zu halten, und seine Hände werden nicht zu 100 % für die Lenkung eingesetzt, da er versucht, seine Arme zum Ausbalancieren zu benutzen. Stellen Sie sich nun vor, derselbe Fahrer wäre fest in einem Schalensitz angeschnallt, sein Gleichgewicht ist gesichert, er wird vollständig unterstützt und kann seinen Körper entspannen, während seine Arme völlig frei sind, um das Fahrzeug zu steuern. Unsere Gleitschirmgurte sind genau das Gleiche, sobald wir uns verkrampfen und versuchen, aufrechter zu sitzen, verlieren wir den Kontakt zum Gurtzeug und unser Rücken wird nicht mehr gestützt. Dann kommt das Gleichgewicht ins Spiel und unser natürlicher Instinkt ist es, die Arme zum Ausbalancieren zu benutzen, was für uns Gleitschirmpiloten ein großes Problem darstellt, da wir die Bremsen in unseren Händen haben. Wenn wir versuchen, das Gleichgewicht wiederzufinden, können wir versehentlich zu viel an deb Bremsen ziehen, was zu einem sekundären Ereignis führt.

Unabhängiges bewegen der Arme

Dies geht gegen unsere natürlichen Instinkte, es geht gegen eine Fähigkeit, die wir unser ganzes Leben lang geübt haben, seit wir als Kleinkinder unsere ersten Schritte gemacht haben… zu fallen, ohne die Arme auszustrecken. Dieser Gedanke ist für uns Menschen schwer zu überwinden, da er so tief in uns verwurzelt ist, aber er ist entscheidend für das Steuern eines Gleitschirms.

Wenn du im Alltag einen Winkel von 30 Grad überschreitest, setzen Ihre Instinkte ein und Sie strecken Ihre Arme aus, um den Sturz aufzufangen. Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir uns auf einem Stuhl zu weit nach hinten lehnen und plötzlich das Gleichgewicht verlieren, der Arm herumflattert und herausschießt, um den Sturz aufzufangen.

Leider werden Sie sich genau so verhalten, wenn Sie im Flug Ihren Neigungswinkel überschreiten oder das Gefühl haben, das Gleichgewicht zu verlieren. Das Lösen der Arme wird viel einfacher, wenn wir anfangen, unserem Gurtzeug zu vertrauen. Wenn wir voll unterstützt werden und wissen, dass unser Gurtzeug uns hält, können wir unseren Körper mit dem Wissen fallen lassen, dass wir sicher sind.

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