Gefahren durch Freileitungen

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Das Freileitungen im Vergleich zu sonstigen Seilen (von z.B. Materialbahnen) zusätzlichen Gefahren in sich bergen, nämlich die eines elektrischen Schlags, sollte jedem Gleitschirmflieger bewusst sein. Warum man einem verunfallten Piloten, der mit einer Freileitung im Kontakt steht, jedoch besser nicht unmittelbar helfen sollte und was sonst noch bei einem Stromunfall zu beachten ist, erfährst du…

Update 23.12.2023: verschiedene Korrekturen

Einführung

Da ich in der Energieversorger-Branche arbeite und angeregt durch Lucian’s Podcast mit Charlie möchte ich mein Wissen bezügliche Gefahren für die Gleitschirmpiloten durch Freileitungen zum Besten geben. Ich habe versucht mich in der folgenden Beschreibung so einfach wie möglich auszudrücken, auch wenn es technisch gesehen vielleicht nicht immer hoch korrekt ist. Wer es detaillierter wissen will, dem sei auf Wikipedia, Google oder Fachliteratur verwiesen.

Auf YouTube gibt es einige unschöne Beispiele, die zeigen, dass Freileitungen eine echte Gefahr für uns Gleitschirmflieger sind, deshalb denke ich, lohnt es sich für jeden Piloten einen genaueren Blick auf die Thematik zu werfen.

Ich habe nur die elektrischen Gefahren beschrieben, die sonstige Gefahren, die von Freileitungen ausgehen habe ich hier nicht näher betrachtet. Leider passen wir Gleitschirmflieger, wegen unserer vertikalen Ausdehnung, genau in das Beuteschema von Mittelspannungsfreileitungen (in Deutschland sind 10 und 20 kV üblich), daher habe ich mich größtenteils bei der Darstellung verschiedener Unfallszenarien auf diese Spannungsebene konzentriert und vier mögliche Szenarien beschrieben. Natürlich sind noch viele weitere Szenarien denkbar, die irgendwo dazwischen liegen, aber ich glaube, mit diesen vier habe ich einen Großteil abgedeckt. Weiterhin ist zu beachten, dass bei den höheren Spannungsebenen (110 kV und darüber) natürlich das Gefahrenpotential ungleich höher ist.

Die drei Unfallszenarien sind in der Abbildung grafisch oben dargestellt (Die vierte Szene ist nicht abgebildet), kann aber auch hier zur besseren Darstellung heruntergeladen werden:

Wer sich mit Begriffen wie Strom und Spannung schwertut, dem sei auf folgende Wikipedia-Artikel verwiesen: Elektro-Hydraulische Analogie. Wem das trotzdem alles zu technisch und zu kompliziert ist, der sollte sich einfach die Zusammenfassung weiter unten durchlesen.

Einschränkungen

Grundsätzlich kann ich hier nur allgemeine Tipps und Anregungen geben, jedem Piloten obliegt es natürlich selbst, wie er oder sie sich in bestimmten Fällen verhält. Der Sachverhalt ist zu komplex, als dass man es in diesem Beitrag komplett beschreiben könnte, daher möchte ich in dieser Stelle ausdrücklich auf die Eigenverantwortung verweisen, insbesondere wenn es um das eigene Leben geht.

Das Verhalten des speisenden Umspannwerks im Falle eines Unfalls kann von Energieversorger zu Energieversorger variieren. Dies hängt unter anderem davon ab, wie der Schutz verdrahtet und parametriert und die Sternpunkterdung ausgeführt ist. Wie die elektrischen Anlagen bei den jeweiligen Energieversorger im Detail ausgeführt sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Daher kann ich an dieser Stelle nur das allgemein übliche Verhalten im Fehlerfall beschreiben.

Weiterhin habe ich vor allem das Umspannwerk extrem vereinfacht dargestellt, damit auch der elektrotechnische Laie eine Chance hat, den Sachverhalt zu verstehen. Aber auch die Freileitung gibt es in verschiedensten Bauformen und Varianten, daher kann ich auch hier nicht auf jeden einzelnen Sachverhalt eingehen.

Begriffe

Zum besseren Verständnis folgend Definitionen der benutzten Begriffe:
Automatische Wiedereinschaltung (AWE): Besonders fiese Funktion für uns Gleitschirmflieger. Schaltet nach einer Ausschaltung des Leistungsschalters nach einem Fehler nach vorgegebener Zeit (0,2 bis 5 sec) automatisch diesen wieder ein.

Betriebsstrom: Strom in der Freileitung, der durch den normalen Betrieb (durch den Verbraucher) verursacht wird.

Elektrische Spannung: Die angegebenen Spannungen (Mittelspannung: 10 kV und 20 kV, Hochspannung: 110 kV, Höchstspannung: 220 kV und 380 kV bzw. je nach Energieversorger alle mögliche anderen Spannungen dazwischen) beziehen sich auf die Leiterspannung, also Seil gegen Seil auf der Freileitung. Seil gegen Erde ist um den Faktor 1,73 (Wurzel aus 3) kleiner (5,8 kV, 57 kV usw.).

Elektrischer Schlag: Als Stromunfall, Elektrounfall, auch elektrischer Schlag oder Stromschlag wird eine Verletzung durch die Einwirkung elektrischen Stromes auf den Menschen oder auf Tiere bezeichnet (Quelle: Wikipedia).

Fehlerstrom: Strom, der durch einen Fehler in der Freileitung verursacht und im Schutz gemessen wird.

Freileitung: Ein elektrischer Leiter bestehend aus drei Seilen gespannt von einem Mast zu einem anderen.

Freileitungsmast: Der Freileitungsmast (umgangssprachlich Strommast oder Hochspannungsmast) ist eine Konstruktion für die Aufhängung einer elektrischen Freileitung (Quelle: Wikipedia).

Isolator: Bauteil zwischen Freileitungsseil und Mast. Anhand der Länge der Isolatoren kann die elektrische Spannung abgeschätzt werden.

Leistungsschalter: Mit einem Leistungsschalter können Betriebsströme und auch Kurzschlüsse ausgeschaltet werden.

Oberleitung: Eine Oberleitung, Fahrleitung oder seltener Fahrstromleitung dient bei Bahnen zur Versorgung der Triebfahrzeuge mit Bahnstrom (Quelle: Wikipedia).

Schutz: Der Schutz im Umspannwerk oder gegebenenfalls Trafostation soll Fehlerströme von Betriebsströmen unterscheiden. Im Falle es Fehlers wird dieser über den Leistungsschalter abgeschaltet. Es gibt verschiedene Arten von Schutz (UMZ, Distanzschutz und Leitungsdifferential), die die Freileitung schützen können, auf die aber hier nicht im Detail eingegangen werden soll. Vereinfacht gesagt, übersteigt der Fehlerstrom den im Schutz eingestellt Grenzwert, führt dieser zum Auslösen des Leistungsschalters.

Schrittspannung: Als Schrittspannung bezeichnet man die elektrische Spannung zwischen zwei Punkten eines von starkem Strom durchflossenen Bodenbereiches (Quelle: Wikipedia).

Steuerung: Dient zur Steuerung und -überwachung elektrischer Anlagen.

Sternpunkterdung: Zusammenschluss der Wicklungen eines Transformators zu einem Anschlusspunkt. Der Anschlusspunkt wird in der Regel in Mittelspannungsnetzen über eine Spule, in Hochspannungsnetzen direkt zur Erde geführt.

Störlichtbogen: Ein Störlichtbogen oder auch Fehlerlichtbogen ist in der elektrischen Energietechnik ein technisch unerwünscht auftretender Lichtbogen zwischen elektrischen Anlagenteilen (Quelle: Wikipedia).

Stromkreis: Ein elektrischer Stromkreis ist ein System von Leitern, das einen geschlossenen Weg darstellt (Quelle: Wikipedia).

Transformator: Transformiert elektrische Spannungen von einer Spannungsebene auf eine andere, z. B. 110 kV auf 10 kV.

Umspannwerk: Im Umspannwerk wird die Hochspannung (z.B. 110 kV) in Mittelspannung (z.B. 10 kV) transformiert und verteilt.

Unfallszenarien

Folgend die von mir ausgedachten Szenarien und die daraus möglichen Konsequenzen:

Unfallszene 1

In der Unfallszene 1 hat die Kappe Kontakt zur Freileitung, während der Pilot Bodenkontakt hat. Normalerweise sollte man davon ausgehen, dass die Leinen, da sie aus Kunststoff bestehen, ein sehr gutes Isolationsvermögen haben. Dem ist aber nicht so (auch zu meiner Überraschung), wie in diesem Video zu sehen ist. Leider kann man es im Video nicht erkennen, aber ich vermute es, dass es sich hierbei um eine Mittelspannungsfreileitung handelt. Dass überhaupt der Stromkreis geschlossen ist, liegt an der Sternpunkterdung im Umspannwerk. Der Schutz erkennt möglicherweise einen Erdschluss, aber keinen Kurzschluss, da der fließende Strom im Bereich des normalen Betriebsstroms liegt. Somit ist davon auszugehen, dass die Freileitung weiterhin unter Spannung steht. Daher ist dringend geraten, einem verunfallten Piloten nicht unmittelbar zu helfen, sondern großen Abstand zu halten, den Notruf anzurufen und abzuwarten, bis die Rettungskräfte bestätigen, dass die Spannung (im Regelfall vom speisenden Umspannwerk) abgeschaltet ist. Erst dann kann mit Rettungsmaßnahmen begonnen werden.

Der Pilot selbst kann natürlich selbst versuchen, sich so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Der Pilot im Video macht den Fehler und öffnet den rechten Karabiner, es kommt zu einem Störlichtbogen, im gleichen Moment reist die Freileitung. Das war wohl sein Glück, sonst hätte er womöglich einen tödlichen Stromschlag erlitten. Besser wäre es gewesen, den Brustgurt zu öffnen und sich zu entfernen. Selbst die auf dem Boden liegende Freileitung führt nicht zur Auslösung des Schutzes, da der Stromfluss nicht den Fehlerstrom erreicht, der zum Auslösen des Schutzes führt.

Man sollte sich so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich begeben, und zwar in kleinen Schritten wegen der sogenannten Schrittspannung. Die Freileitung ist immer als unter Spannung stehend zu betrachten, bis die Rettungskräfte Entwarnung geben.

Da Hochspannungsfreileitungen im Regelfall in großer Höhe verlaufen, dürfte ein derartiger Unfall unwahrscheinlich sein. Natürlich können auch in Sonderfällen Hochspannungsfreileitungen in Bodennähe verlaufen.

Unfallszene 2

In der Unfallszene 2 überbrückt der Pilot 2 Seile, somit überbrückt er die volle Leiter-Leiter-Spannung von z.B. 10 kV. Der Tod des Piloten ist sehr wahrscheinlich, falls es nicht zum satten Kurzschluss durch Schwingungen der Seile kommt. In diesen Fall würde der Schutz einen Fehlerstrom erkennen und den Leistungsschalter abschalten. Falls der Energieversorger eine automatische Wiedereinschaltung hat, schaltet der Leistungsschalter nach kurzer Zeit wieder ein, somit steht der Pilot wieder unter Spannung. Falls er irgendwie den ersten Stromschlag überlebt hat, bekommt er nochmal einen Schlag verpasst.

Im Fall, dass der Pilot mit seinem Körper die Seile überbrückt, erkennt der Schutz sehr wahrscheinlich keinen Fehler und die Freileitung bleibt weiterhin unter Spannung. Wie schon im Fall 1 erklärt, sollten Rettungsmaßnahmen unterbleiben, bis die Rettungskräfte eintreffen und die Spannungsfreiheit bestätigt haben.

Da bei Hochspannungsfreileitungen die Seile einen großen Abstand haben, ist es unwahrscheinlich, dass er diese mit seinem Körper überbrückt. Aber es wäre denkbar, dass ein Störlichtbogen stattfindet

Unfallszene 3

Auch wenn der Pilot, wie in diesem Video, sich im Erdungsseil einer Hochspannungsfreileitung verfängt, ist das Prinzip ähnlich, wie wenn man an einem Leiterseil hängen bleibt. Solange man nicht mit einem zweiten Seil oder Erde in Berührung kommt oder ein Störlichtbogen stattfindet, hat man nichts zu befürchten. Man sollte sich nach Möglichkeit mit einer Bandschlinge sichern, größtmöglichen Abstand zu anderen Seilen, Masten und Erde einhalten und den Notruf wählen. Man sollte keine eigenen Rettungsversuche unternehmen und andere Personen sollten man bitten, Abstand zu halten.

Grundsätzlich gilt, je höher die Spannung, desto größer sind die Abstände, die durch Störlichtbögen überbrückt werden können.

Unfallszene 4

Bei Kontakt mit der Oberleitung der Deutschen Bahn wird es besonders hässlich, da das Gleis als Rückleiter genutzt wird (Unfallszene 4 ist nicht in der Abbildung dargestellt). Falls der Schirm in Kontakt mit der Oberleitung hat und der Pilot auf dem Gleis zum Stehen kommt, kommen die volle der dort üblichen 15 kV zum Tragen. Zu allem Übel wird der Schutz möglicherweise den Fehler nicht erkennen, da das für ihn durch den hohen Übergangswiderstand wie ein normaler Betriebsstrom aussieht. Der Fall ist ähnlich gelagert, wie Unfallszene 2, der Tod des Piloten ist wahrscheinlich, falls das Isolationsvermögen der Fangleinen nicht ausreichend hoch ist. Auf den Bahnspezifischen Schutz und automatische Wiedereinschaltung, möchte ich hier nicht näher eingehen.

Zusammenfassung

Wem die obige Beschreibung, trotz der starken Vereinfachung, noch zu kompliziert ist, dem sei die nachfolgende kurze Zusammenfassung angeraten:

  • Freileitungen sind grundsätzlich auf Versorgungssicherung und nicht auf Personensicherheit ausgelegt. Daraus folgt das große Gefahrenpotential für uns Gleitschirmflieger
  • Der Schutz in den Umspannwerken erkennt in aller Regel nicht den Piloten in der Freileitung, somit bleibt die Freileitung im Falle eines Falles unter Spannung
  • Personen sollten Abstand zu verunfallten Piloten halten, solange bis von den Rettungskräften bestätigt wurde, dass die Freileitung spannungsfrei ist
  • Falls der Pilot nur ein Seil berührt: Sicherung gegen Herabfallen, Hilfe rufen, andere Personen um Abstand bitten und warten. Vermeide Kontakt und halte Abstand (wegen Gefahr eines Lichtbogens) zu anderen Seilen, dem Mast und Erde
  • Falls eine Freileitung heruntergefallen ist, sollte man sich unverzüglich in kleinen Schritten von der Gefahrenstelle entfernen. Das gilt, auch wenn der Pilot Kontakt zur Freileitung wie in Unfallszene 1 hat

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Anonymous

    Danke für die detaillierte Darstellung!

  2. MT

    Moin,

    der Artikel ist ja jetzt im DHV Magazin, ein paar Dinge sind mir aufgefallen:

    – das Korrekturlesen hat irgendwie nur halb stattgefunden, bereits im Einleitungstext sind Fehler.
    – Die QR-Codes führen auf die generelle Sammlung von Videos, wo es dutzende verschiedene Unfälle gibt und man nicht weiß, welcher gemeint ist

    – Meine Meinung zu Szenario 1: Das Video zeigt einen Leiter-Leiter-Kontakt einer maximal 3KV-Leitung zu dem Gebäude links, der durch die Bewegung des Piloten (Riser ausklinken) ausgelöst wird. Die Leitungen haben direkten mechanischen Kontakt miteinander. Die Rauchspur auf dem Boden ist weit entfernt von ihm und entlang der Leitungsrichtung, das ist abgeschmolzenes Material entlang der Kontaktwelle. Die Beschädigung am Schirm ist lokal und die Riser sind intakt, der Schirm hat nicht abgeerdet und wird er auch nicht, solange die Leinen nicht naß sind. Wenn der Pilot über die Leinen einen Erdschluß ausgelöst hätte, wäre er tot.

    – Das Szenario „Bahnstrom“ ist nicht besonders hässlich, es unterscheidet sich nicht von anderen Stromleitungen nur weil die Erdung aus Eisen oder die Leitung näher am Boden ist. 15KV sind 15KV. Auch hier glaube ich nicht, dass ein trockener Schirm als Leiter funktioniert.

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